Film & Foto

Gipfelstürmer

Zwei Räder können schon im frühen Kindesalter prägenden Einfluss haben. Lange Zeit spielte mein Fahrrad eine wichtige Rolle, die ganze Clique radelte damals gerne und viel. Dann stiegen die Ersten auf’s Mofa um und auch ich wurde wie viele von uns vom Virus für’s motorisierten Zweirad befallen. Interessant ist, dass manche dem nicht verfielen, aber trotzdem ihren Status in der Clique nicht verloren haben. Und dass sie dem Fahrrad bis heute verfallen sind. Bei einem von ihnen fiel mir kürzlich sein Profilbild auf. Obwohl wir weit auseinander wohnen, haben wir seit unserer gemeinsamen Oberstufenzeit bis heute Kontakt. Halb im Scherz bat Eberhard, genannt ‚Emse‘ um einen Beitrag für diese Website, und er war tatsächlich der Erste, der geliefert hat. Und weil Fotos so viel Leidenschaften, über die Vergangenheit und unsere Geschichte erzählen, soll er in diesem Beitrag unter dieser Rubrik zu Wort kommen.

Emse
1976: Emse mit der Film-Entwicklungsdose im Labor.

Dazu kommt, dass wir während der Oberstufe gemeinsam eine Foto-AG an unserem eher mäßigen Gymnasium belegten, und so die ersten Filme selbst entwickelten und die ersten Abzüge machten. Daraus sollte sich bei mir für die nächsten 20 Jahre ein immer wieder gerne ausgeübtes Hobby entwickeln.

Wer Filme entwickeln will, muss sie erst mal belichten. Und da so ein 70er-Jahre-Schulbau kaum lohnende Motive bietet, fotografiert man sich gegenseitig. Kreativ war Emse immer, die Fahrradlampe zwischen seinen Knien könnte ein weiterer früher Hinweis auf seine Leidenschaft sein..
…wie auch die Töpferscheibe, die wir aus einem alten Fahrrad selbst gebaut haben, um im Kunstunterricht nicht nur doofe Würstchen-Technik-Töpfe zu bauen.

Das Aufmacher-Foto oben war der Auslöser dieses Beitrags. Wenige Tage nach meiner Anregung mal etwas zu schreiben, kam dann folgende Nachricht:

„Das Fahrrad habe ich von unserem Nachbarn geschenkt bekommen, nachdem drei Nachbarjungs darauf Fahrradfahren gelernt hatten. Ich war ca. 4 Jahre alt als ich es bekam. Laut der Erzählung meiner Eltern bin ich angeblich ohne Unterstützung aufgesessen und losgefahren. Für den unübertroffen Fahrkomfort sorgten die breiten 12-Zoll-Ballonreifen und der vollgefederten Ledersattel, der von einem alten 28-Zoll-Herrenfahrrad stammte. Ich war überglücklich mit dem Teil. Seither huldige ich der „Bio-Power“. Ich hatte noch nie so viel Benzin im Blut wie du. Das Bild entstand vermutlich 1965 als ich 5 Jahre alt war. Man beachte die Lederhose, die vor mir schon mein großer Bruder trug. Ich hatte sie den ganzen langen Sommer an. Dementsprechend hat sie gerochen😂. Man beachte auch die Sicherheitsstiefel.

Beim Anblick solch einer Serpentinen-Strecke juckt natürlich sofort meine rechte Hand. Ganz ehrlich: Mit dem Fahrrad wäre es eine schwere Strafe für mich. Hinauf jedenfalls..

Dem Radfahren bin ich mein ganzes Leben verbunden geblieben. Schon in jungen Jahren wurde es zum exzessiven Hobby und ist es bis heute geblieben. Letzten Sommer war ich mit dem Rad auf dem Mont Ventoux, einem Tour-de-France-Klassiker in der Provence, 1909 m hoch. Das war eines meiner schönsten Rad-Erlebnisse, eine ca. 1600 m hohe Auffahrt durch alle Vegetationsstufen, davon die letzten 250 Höhenmeter durch die weiße Geröllwüste.

Dafür, dass er da hinauf gestrampelt ist, schaut er noch recht frisch aus der Wäsche.

Von oben hat man bei schönem Wetter eine grandiose Aussicht, von den Alpen bis zum Meer. Ist es nicht beachtlich, dass ein 65-jähriger Hobbyradler für die Auffahrt ziemlich genau nur doppelt so lange gebraucht hat wie der Superstar Tadej Pogačar bei der Tour de France? Leider erschweren mir in letzter Zeit ein paar „Wehwehchen“ mein Hobby. Egal, ich bleib am Ball. LG Emse“

Die wirklich grandiose Aussicht.

Kleiner Nachtrag: Das Ding mit der Lederhose muss für Nicht-Backnanger erklärt werden. Backnang hatte eine lange Gerber-Tradition und große Lederwerke. Aus dem in Backnang produzierten Leder wurden im Schwarzwald unter anderem die in den siebziger Jahren legendären Harro-Leder-Kombis hergestellt. Dementsprechend gab es natürlich auch lederverarbeitendes Handwerk. In den fünfziger und sechziger Jahren war es für Jungs in Backnang deshalb normal, dass sie für den Winter ein paar Glattleder-Kniebundhosen und für den Sommer ein paar kurze Wildlederhosen maßgeschneidert bekamen. Und weil das natürlich seinen Preis hatte, gingen meist diverse Bein-Paare durch diese Lederhosen.