Motorrad

Ein halbes Jahrhundert on the road.

Beinahe wäre es mir nicht aufgefallen. Vor fünfzig Jahren habe ich den Führerschein Klass 4 gemacht und bin mit einem alten Kreidler Mokick in meine Zweiradkarriere gestartet. Ein Jubiläum also.

Armin

Ein halbes Jahrhundert ist eine verdammt lange Zeit. Einiges von dem, was ich auf zwei Rädern erlebt habe, habe ich in den Beiträgen dieser Website schon berichtet. Und manche Anekdote behält man besser für sich. Den Lesern mag es so scheinen, als wäre immer alles rund gelaufen und als hätte stets die Vernunft und beim Schrauben die Kompetenz die Oberhand gehabt. Natürlich war es nicht so. Vernunft und Sturm & Drang lagen im ständigen Zweikampf, und es wurde mangels fehlender Kompetenz und Finanzen fleißig gemurkst, und abenteuerliche Dinge gemacht. Mögen die nachfolgenden Schilderungen die jungen Leser von heute zum Nachdenken bringen, nicht jede Erfahrung muss man selbst machen.

Kreidler Mokick, zugelassen für maximal 45 Km/h, mehr war nicht drin. Und da Mofas und Mokicks keiner regelmäßigen TÜV-Prüfpflicht unterlagen, wurde natürlich wild geschraubt und getunt. Heute sagen wir „verbastelt“ dazu, und lassen die Finger von solchen Fahrzeugen.
Die Honda Dax blieb damals ebenso ein Traum…
…wie so ein 85 Km/h schnelles Kreidler Kleinkraftrad.

Und bei manchen aus der Clique wurde die Anschaffung eines motorisierten Untersatzes von den Eltern schlicht verboten. Pädagogisch klug? Sicher nicht, wenn auch angesichts der damaligen Unfallzahlen nachvollziehbar. Was aber bei einem Kumpel aus der Clique dazu führte, dass für sehr wenig Geld heimlich ein Mofa angeschafft wurde, das sehr schnell zum am heftigsten frisierten (so hieß bei uns damals das Tuning) Töff in der Umgebung mutierte, da es bei einem anderen Mitglied der Clique in der Garage geparkt wurde, und so der elterlichen Kontrolle entzogen war. Die Pedale wichen Fußrasten, die 2-Gang-Handschaltung wurde zu einer höchst abenteuerlichen Fußschaltung umgebaut und dem Motor möglichst viel Leistung abgerungen, so dass die Geräuschentwicklung infernalisch und die Mofa-Bremsen völlig überfordert waren. Natürlich hochillegal, die Losung lautete: Nicht erwischen lassen.

Die Umbauten bewegten sich meist auf einem fachlich betrachtet sehr niedrigen Niveau, und waren oft abenteuerlich. Aber es gab Ausnahmen. So z. B. der Schulfreund Fritz (Name geändert). Leider bin ich nie dazu gekommen, sein wirklich erstklassig aufgemotztes Kreidler Mofa mal zu fotografieren. Es hatte eine piekfeine John Player Lackierung, wie sie der legendäre Lotus 72 in der Formel 1 trug.

Auf das Kurbelgehäuse wurde der Zylinder samt Kolben und Vergaser des Kleinkraftrads montiert, nachdem im Gehäuse die Kurbelwelle des RS implantiert war. Die Verkehrspolizei begann zu der Zeit gerade damit, Radarkontrollen durchzuführen, und tatsächlich wurde das Fahrzeug auf dem Weg nach Ludwigsburg geblitzt: 92 Km/h. Da es an der Stelle eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 100 Km/h gab, und Fritz im Besitz eines Führerscheins Klasse 4 war, ließ ihn die Polizei tatsächlich laufen. Aber schon wenige Zeit später wurde systematisch Jagd auf frisierte 50er gemacht, da das Problem überhand nahm.

Einer DER Filme in jener Zeit war ‚Easy Rider‘. Ich werde nie vergessen, wie ich am Zebrastreifen auf dem Schulweg stand. Es war ziemlicher Berufsverkehr, und gelegentlich stellte die Polizei deshalb einen Beamten an diesen Zebrastreifen. Ich hörte Fritz schon von weitem kommen, und dachte „jetzt haben sie ihn“. Aber er hatte inzwischen inspiriert von der Harley von Peter Fonda eine ellenlange Gabel in das Mofa eingebaut. Er ignorierte den Beamten, den Zebrastreifen, den Verkehr und donnerte full speed vorbei. Der Anblick war so irre, dass dem direkt neben mir stehenden Polizisten sprichwörtlich die Kinnlade runter klappte, und er einen langen Moment brauchte, um sich zu fassen. Da war Fritz längst abgebogen und verschwunden.

Ein Traum war für mich damals die Honda Dax (Kandidat der Vernunft). Klar, schnell war sie nicht, aber dank einklappbarem Lenker passte sie in jeden Kofferraum, so der Gedanke. Schließlich fuhr ich noch jeden Sommer mit den Eltern in den Urlaub, da hätte man sie mitnehmen können. Aber meine Finanzen ließen das nicht zu, und nach dem tödlichen Mofa-Unfall eines Nachbarsjungen waren meine Eltern auch nicht offen für eine finanzielle Beteiligung. Also legte ich mir ein altes Kreidler-Mokick zu, denn ein Kleinkraftrad der Marke Kreidler (Kandidat des Sturm & Drang) war angesichts der exorbitant hohen Versicherungsbeiträge völlig außer Reichweite.

Und natürlich waren in dem Alter Frauen und Alkohol ein Thema, man(n) musste sich ja beweisen. Manchmal fanden regelrechte Kampftrinken statt, und manche handelten sich ein lebenslanges Problem ein. Und etliche setzten sich betrunken aufs Krad. Gleich zu Beginn meiner Mopped-Zeit brachte mich der gelegentlich auftretende Liebeskummer mal dazu, bei einem Freund zu versacken. Und weil es gerade mal 500 Meter Heimweg waren, ließ ich das Mokick nicht stehen. Es waren abenteuerliche 500 Meter, und seither setze ich mich nur noch stocknüchtern aufs Motorrad oder ins Auto, hier siegte die Vernunft.

Mit dem neuen Motor lief das Mokick dann laut elterlichem Opel-Tacho 80 Km/h.

Aber die Staatsmacht rüstete auf, unter anderem wurden die alten VW Käfer durch VW Passat ersetzt. Und manchmal ist es tatsächlich vorteilhaft wenn mal eine Schulstunde ausfällt, und man solange auf dem Pausenhof rumlungert. Da rollte nämlich plötzlich ein 7,5-Tonner der Polizei auf den Parkplatz. Der Hausmeister war auf meine Frage auskunftswillig, und erklärte mir, dass jetzt alle Mofas und Mopeds die in der Fahrrad-Garage stehen, kontrolliert würden. Und was nicht regelkonform sei, würde konfisziert. Blitzschnell nahm ich die Treppe zum Hintereingang und rollte mein Mokick auf diesem Weg wieder hinaus und um die nächste Straßenecke. Etliche Mitschüler durften ihres dann in Begleitung der Eltern gegen ein heftiges Bußgeld und einige Sozialstunden dann bei der Polizei abholen.

Endlich: Leqal und dank 4-Takt-Motor haltbar und unauffällig.

Langsam setzte sich bei mir die Einsicht durch, dass das Leben eines Moped-Outlaw doch recht anstrengend und ggf. folgenschwer sein konnte. Und da der Führerschein Klasse 1 mit 18 sofort gemacht wurde, besiegelte ich den Kauf einer 125er Honda. Zur Finanzierung hatte ich das Mokick verkauft, der Käufer wollte es am folgenden Wochenende abholen. Ich dachte mir dann, ich könnte ja ein letztes Mal Sturm und Drang nachgeben, montierte nochmal alle Tuning-Teile um ein letztes Mal am Samstagabend eine schnelle Runde zu drehen, und startete in Umland, wo sich die Clique in einem Lokal zum Kegeln verabredet hatte. Lang liegend auf dem Tank knatterte ich mit 80 Sachen die neu asphaltierte Straße hinter Steinbach hinauf, als mir Scheinwerfer entgegen kamen. Als das Auto an mir vorbei rauschte, erkannte ich aus dem Augenwinkel eine grün-weiße Lackierung, der Blick in den Rückspiegel zeigte helle Bremslichter. Und es waren nicht die eines VW Käfer.

Mit einem nagelneuen Motorrad hatte ich mir einen Traum erfüllt.

Mir war sofort klar, dass das mit dem neuen Motorrad nichts wird, wenn sie mich jetzt erwischen. Ich wusste, dass oben auf der Kuppe ein Feldweg links abging, und machte das funzelige Mopped-Licht aus, um mich unsichtbar zu machen. Ab da war es ein Blindflug. Etwa da wo ich den Feldweg wähnte, bog ich ab, aber da war er nicht. Ich schanzte über die etwa ein Meter hohe Böschung in die Wiese, setzte so hart auf, dass es den Lenker in der Klemmung nach unten drehte, warf mich samt Mokick ins hohe Gras unter den Apfelbäumen und stellte den Motor ab. Der Passat donnerte mit Vollgas vorbei, ich startete den Motor und machte mich über Feldwege vom sprichwörtlichen Acker. Das ist lange verjährt. Aber diese Überdosis Adrenalin an jenem Abend hat dafür gesorgt, dass ich bis heute mit dem Motorrad auf öffentlichen Straßen der Vernunft und den Regeln folge, und meine Motorräder TÜV-konform sind.

Nach einer heißen 500er Kawasaki setzte auch bei Fritz etwas Vernunft ein, und es folgte eine fabrikneue Honda CB 750 F2. Natürlich wurde auch die auf gewohnt hohem Niveau etwas modifiziert. Mir wurde die sehr seltene Ehre zuteil, sie fahren zu dürfen. Es war das erste Mal auf einer 750er.

Trotzdem gab es nochmal einen adrenalinhaltigen Polizeikontakt. 1981 war ich mit meiner damaligen Freundin in Stuttgart auf einem Konzert. Es wurde spät und ich wollte sie nach Hause fahren, kannte mich aber in Richtung Leonberg nicht gut aus. Ich folgte einer gut ausgebauten Straße, die vor einem hell erleuchteten Werkstor endete. Ich machte kehrt, und schon kurz danach rausche mal wieder ein Polizei-Passat an mir vorbei, diesmal mit Blaulicht. Er stellte sich völlig unerwartet mit quietschenden Reifen quer vor mich, so dass ich eine Vollbremsung machen musste. Blitzschnell sprangen die beiden Polizisten mit Maschinenpistolen im Anschlag aus dem Auto und schrien immer wieder „Helm runter“.

1978 kam die Honda CB 400 FOUR. Und viele gemeinsame Kilometer mit Albert, hier ist seine XT zu sehen.
Und hier beim Zelten in Spa.

Es klärte sich dann auf, ich hatte unwissentlich vor dem Gefängnis-Tor von Stuttgart Stammheim gewendet, wo damals noch RAF-Terroristen inhaftiert waren. 1977 war Generalbundesanwalt Buback von RAF-Terroristen vom Motorrad aus erschossen worden, was die Nervosität der beiden Beamten nachvollziehbar machte.

Die Honda CB 400 FOUR war der beste Kauf in meinem Leben.

Stürze? Ja, die hatte ich, aber ich bin nie in einen anderen Verkehrsteilnehmer gefahren. Und nicht alle Motorrad-Kollegen haben ihre Unfälle überlebt. Meine Stürze liefen zum Glück alle glimpflich ab, Prellungen, Schürfwunden und einmal eine leichte Gehirnerschütterung, aber keine Knochenbrüche oder ähnliches. Den ersten Sturz mit dem Kreidler Mokick habe ich selbst verschuldet, weil ich mich von meinem Mitfahrer von der Straße habe ablenken lassen. Die 125er legte ich auf den Asphalt, weil ich nicht auf dem Schirm hatte, dass im Januar bei Minusgraden die Reifenhaftung auch auf trockener Straße nachlässt.

Zum 40-jährigen 400er Jubiläum kamen ein paar Markenkollegen vorbei.

Mit der 400er schmierte ich das erste Mal ab, weil vermutlich ein LKW-Fahrer nach dem Tanken vergessen hatte, den Tankdeckel wieder drauf zu schrauben. Ein anderes Mal habe ich sie kontrolliert auf die Seite gelegt und bin ich abgesprungen, um nicht in einen Kofferraum zu donnern. Der Autofahrer hatte an der auf Gelb gesprungenen Ampel erst Gas gegeben, und dann doch voll gebremst. Und dass einen Kuhscheiße zu Fall bringen kann, habe ich im Irland-Beitrag geschildert.

Der Klassiker wenn man auf Tour ist: Currywurst-Pommes und eine Cola.

Einmal zwangen mich zwei Autofahrer, die sich ein Rennen geliefert haben zu einer Vollbremsung. Da Rollsplit auf der Straße lag, schmierte das Vorderrad weg, und ich ging zu Boden. Auch auf der Rennstrecke brachte mich einmal eine Ölspur zu Fall. Und ein anderes Mal schoss mich ein übermotivierter Fahrer ab.

Alte Motorräder im aktuellen Verkehr zu bewegen, kann eine Anforderung sein, moderne Fahrzeuge können meist alles besser. Da ist vorausschauendes Fahren angesagt.

Es ließen sich noch zahlreiche Anekdoten aus den 50 Jahren Motorrad berichten. Viele auch, die Freunde erlebt haben, und die recht unterhaltsam wären. Aber das würde den Rahmen dieser Website sprengen. (Vielleicht schreibt ja mal einer einen Gastbeitrag?)