Motorrad

Patina

Seit ziemlich genau einem halben Jahrhundert bin ich nun auf zwei motorisierten Rädern unterwegs. Mit 16 die graue Pappe erworben und mit einem ramponierten Kreidler-Mokick die Zweirad-Karriere gestartet.

Armin

Praktische Fahrpraxis oder eine praktische Fahrprüfung gab es nicht, Helmpflicht auch nicht. Aber der tödliche Mofa-Unfall des Sohns der Nachbarn wäre mit Helm vermutlich weniger dramatisch ausgegangen, also kaufte ich dem Kreidler-Anbieter auch gleich seinen Integralhelm ab. Integralhelme waren da noch der letzte Schrei.

Zwei Räder, ein Brett – Kreidler Florett.
Von Anfang an suchte sich die Reiselust ihre Wege.

Und natürlich wurde notgedrungen geschraubt, schon zwei Stunden nach dem Kauf streikte der Zweitakter zum ersten Mal. Mit dem Schrauben kam dann auch das ‚frisieren‘, schon bald lief das Mokick annähernd doppelt so schnell wie zulässig.

Mit 18 kam der ‚große‘ Führerschein, die damalige Klasse 1 erlaubte das Fahren aller Motorräder. In die ‚graue Pappe‘ wurde einfach per Stempel und Schreibmaschine die Erweiterung eingetragen. Zahllose Regenfahrten mit unzureichender Kleidung durchnässten nicht nur mich, sondern wuschen auch den Stempel fast vollständig raus.

Der Erweiterungsstempel für Klasse 1 und drei ist nur noch vage erkennbar.
Passend zur Erweiterung kam schnell eine Honda CB 125 Disc. Ihre mechanische Scheibenbremse war ein technisches Highlight an einer 125er.

Der 125er folgte schon ein Jahr später dann die 400 FOUR. Sie war der Kauf meines Lebens und begleitet mich bis heute. Vor einer Woche habe ich auf unserer Bamberg-Tour die 180 000 km voll gemacht. In 47 Jahren bin ich nur einmal nicht auf eigener Achse nach Hause gekommen.

Gut 7000 km auf der Uhr, also gerade eingefahren. Das war im zweiten Frühling mit der kleinen FOUR.
Auf zahllosen Touren kreuz und quer durch Europa…
…hat sich nicht nur am Motorrad, sondern auch am Fahrer eine gewisse Patina entwickelt.

Über diese lange Zeit entstehen natürlich gewisse Gebrauchsspuren am Motorrad. Die Honda wurde nie restauriert, nur mal umgebaut, verschönert, modifiziert, repariert --- eben am Laufen gehalten. Und die ersten 15 Jahre wurde sie zu jeder Jahreszeit bewegt und fristete meist ein Dasein als ‚Laternenparker‘.

Die erste Restaurierung, die den Namen verdiente. In den Neunzigern ergänzte eine piekfeine Triumph Trident den Fuhrpark. Auch sie hat heute wieder gewisse Gebrauchsspuren, das bleibt nicht aus, wenn Motorräder artgerecht bewegt werden.

Es kamen andere Motorräder dazu, aber die Honda blieb. Bald kam eine neue Variante dazu, die Rennstrecke rief. Und da blieben dann auch gelegentliche ‚Kampfspuren‘ nicht aus. Auch hier war mein Focus aber auf technische Funktionsfähigkeit, nicht auf Showroom-Qualitäten gerichtet.

Im Fahrerlager treffen sich drei Generationen einer Familie, die Oma bringt Kuchen zum Kaffee mit. Und der junge Mann hat es nicht bei der Sitzprobe belassen: Heute fährt er selbst eine piekfeine CB 400 FOUR.
Gleich geht’s los…

Tatsächlich habe ich vor einigen Jahren mal darüber nachgedacht, die 400er komplett zu restaurieren. Aber ihre und meine ‚Abnutzungserscheinungen‘ haben wir gemeinsam erworben. Sie in den Neuzustand zu versetzen, würde sie unserer gemeinsamen Geschichte berauben.

Der Lack ist ab. Hier haben diverse lederne Kombihosen 180 000 km lang gescheuert…
…und diverse längst verschlissene Lederhandschuhe die Farbe abgegriffen. Die Armatur hat überlebt.
Tatsächlich wurde das Kurbelgehäuse in den Neunzigern mal neu lackiert. Aber Hitze und Wind und Wetter sind keine Freunde der Lackierung.
Dieser Aufkleber auf dem Seitendeckel ist immer noch original,…
…genauso wie der auf dem Kettenschutz.

Jede Macke, jede Sturzspur erzählt ein Stück unserer gemeinsamen Geschichte. Ich habe mich längst dafür entschieden, genau so weiter zu machen: Fahren, Schrauben, instand halten, und erst sanieren, wenn die Grenze zum Gammel überschritten ist. Schließlich geh ich auch nicht zum Schönheitschirurgen und lasse Falten straffen.

Am Chromring und an meinem Knie finden sich immer noch die Spuren meines ersten Sturzes mit der 400er. Da hatte ich sie gerade mal drei Monate.
Am Tank kommen langsam Spuren früherer Lackierungen zum Vorschein. Aber in meiner Werkstatt liegt inzwischen ein Tank der noch Original-Lack mit leichten Gebrauchsspuren trägt. Der passt perfekt zum Motorrad und seinem Erscheinungsbild, aber zuerst bekommt er eine Innenversiegelung.
Der Gepäckträger von Schuh hat schon wahre Gepäckberge geschleppt. Ermüdungserscheinungen wurden mit eingeschweißten Verstärkungen kuriert.
Die kleine Blechplatte am Benzinhahn hat durch unzähliges Öffnen und Schließen des Benzinhahns die Zinkschicht verloren und zeigt leichten Flugrost. Na und? Es ist noch immer der erste Benzinhahn und er ist immer noch dicht.

Die CB 72 im Renntrimm, die mir vor einiger Zeit zugelaufen ist, hat mich mit ihrer wirklich schönen Patina begeistert, und in meiner Haltung bestärkt. Und ich bin nicht alleine damit. Patinierte Motorrad-Klassiker mit Historie erzielen auf Versteigerungen inzwischen meist höhere Preise als piekfeine, aber sterile Restaurierungen.

Patina an einem aufgenieteten Blechschildchen an der CB 72.

Und schließlich gibt es ja auch das sauber wie neu aufgebaute Gegenstück einer 400er in der Familie. Aber auch dieses Motorrad wird nach und nach Gebrauchsspuren bekommen und damit Geschichten erzählen. Auf die nächsten Jahre mit den Honda CB 400 FOUR Super Sport! Ein paar Ideen für Touren hätte ich da schon…

Rechts gut gebraucht, links wie neu. Beide schön.