Motorrad

Reisen auf zwei Rädern: Bodensee

Viele Jahre war meine liebste Art zu reisen, die mit dem Motorrad. Ein kleiner Blick zurück auf die Anfänge macht deutlich, wie sehr sich unsere Welt gewandelt hat.

Armin

Eigentlich hat es 1976 begonnen. Noch waren die meisten von uns mit dem Fahrrad unterwegs, einige hatten schon ein Mofa, in unserer Region war das in der Regel ein Kreidler MF2. Ich war damals noch per Rennrad mit Vier-Gang-Zahnradschaltung unterwegs und war noch nicht besonders interessiert an der motorisierten Fortbewegung. Dass sich das innerhalb einiger Monate ändern würde, war mir aber klar. Also hab ich die Kumpels bequatscht, ein letztes Mal eine gemeinsame Radtour zu unternehmen. Diese Tour machte ausgesprochen viel Spaß, doch wie erwartet waren alle Beteiligten schon bald motorisiert unterwegs.

Noch schlug ich die meisten Mofas mit dem Rennrad locker, aber irgendwann setzte sich auch bei mir der Wunsch nach einem Mokick durch. Und schon nach den ersten paar Monaten dann auch das Verlangen, mal eine kleine Reise zu unternehmen. Was aus heutiger Sicht ziemlich abenteuerlich war, angesichts doch eher minimaler Schrauberkenntnisse und eines Kreidler-Mokicks, das in zehn Jahren vier Vorbesitzer und schon den ersten Motorschaden hinter sich hatte. Immerhin lagen rund 500 Kilometer vor uns.

Wir waren gerade aus dem Familienurlaub an der französischen Atlantik-Küste zurück, als Freund Ingo und ich die Mokicks beluden, um uns auf einen einwöchigen Trip Richtung Bodensee auf den Weg zu machen. Noch waren Ferien und das Wetter gut.

Die erste Übernachtung war auch schon gebucht, Tübingen war das Etappenziel. Ingo kannte dort jemanden, bei dem wir eine Nacht kostenfrei unterkriechen konnten, schließlich waren unsere finanziellen Mittel noch sehr knapp, sprich auf das angesparte Taschengeld reduziert. Bei mir waren das damals dreißig Deutsche Mark, große Sprünge waren also nicht drin.

Reise-Verpflegung waren in der Regel Ravioli in Dosen und Ähnliches, eben alles, was wenig kostete und sich einfach auf dem kleinen, neu angeschafften Mini-Camping-Gaskocher leicht heißmachen ließ. Ein Imbiss an der Pommes-Bude war eher die Ausnahme, da er die Reisekasse spürbar belastete.

Dennoch haben diese Rahmenbedingungen dem Gefühl grenzenloser Freiheit keinen Abbruch getan. Wir waren gerade mal siebzehn Jahre alt und nicht zum ersten Mal ohne Eltern unterwegs, aber erstmals ohne dass Erwachsene geplant und organisiert hatten, also ganz auf uns alleine gestellt. Und um ganz deutlich zu machen, wie anders als heute so etwas damals war: Es gab kein Internet, kein Navi, kein Handy, keine EC-Karte, und noch hatte nicht jede Familie ein Telefon zu Hause. Aber wenn sie eines hatten, fand man über das Telefonbuch oder die Telefon-Auskunft immerhin die Telefonnummer. Und es gab in fast jedem Ort die gute gelbe Telefonzelle, zwanzig Pfennige kostete ein Ortsgespräch.

Wir nahmen von Tübingen die B27 über Rottweil und dann die B14 über Tuttlingen, um zügig an den Bodensee zu kommen. Wo heute Fußgängerzonen und oft mehrspurige Umgehungsstraßen die Innenstädte entlasten, rollte damals meist noch der gesamte Durchgangsverkehr durch die historischen Altstädte. Routenplanung machte man über entsprechende Straßenkarten, und wir wählten nach Möglichkeit die Hauptverkehrsadern, um zügig voranzukommen. Eine Woche mit zwei voll beladenen Mokicks, die offiziell nur vierzig Stundenkilometer schnell sein durften, war nicht viel Zeit.

Wenn es Strecke und Verkehr hergaben, wurden die hinteren Fußrasten runtergeklappt und man machte sich lang auf dem Töff, Kinn auf den Tank und Vollgas. Wir fuhren beide Gebläse-gekühlte Modelle, ein Design nach unserem Geschmack eher unattraktiv, aber dafür temperaturstabil. Und es wurde Mischung getankt, die notwendige Schmierung war in der Regel gewährleistet. Radarkontrollen waren noch extrem selten, so fiel das unzulässig deutlich höhere Tempo als Ergebnis der amateurhaft ausgeführten Tuning-Maßnahmen erst mal nicht sofort auf.

Irgendwo unterwegs trafen wir auf ein gleichaltriges ein Pärchen, das mit zwei beneidenswert nagelneuen Mokicks ebenfalls erstmals auf Reisen war. Schnell taten wir uns zusammen und legten zwei Tage den Weg gemeinsam zurück.

Am Bodensee angekommen, war anfangs das Wetter noch so gut, dass wir nicht mal ein Zelt aufbauten, sondern unter freiem Himmel schliefen. Tagsüber fuhren wir dann am See entlang und genossen den Sommer und die Freiheit.

Irgendwann setzten dann aber doch ein paar Regenschauer ein. Die beiden Mitreisenden waren wie wir nur mit Jeans und leichtem Anorak unterwegs. Motorrad-Klamotten und Regenzeug waren finanziell noch unerreichbar. Nur Ingo hatte eine einfache Regenüberhose, die allerdings nicht viel genützt haben dürfte.

In Lindau hatten wir noch mal ein paar Sonnenstunden, aber dann verließ uns das Glück. An meinem Kreidler-Mokick gab es plötzlich keinen Vortrieb mehr, egal wieviel Gas ich gab. Und mangels ausreichender Schrauber-Kenntnisse fanden wir keine Ursache, sondern malten uns einen schweren Getriebeschaden aus. Ganz in der Nähe fand sich dann eine Kreidler-Werkstatt, wo man nach dem Schaden sehen wollte. Heute denke ich, der Werkstattbetreiber wusste schon anhand unserer Beschreibung, was vermutlich das Problem war. Letztendlich musste er nur den Kupplungsdeckel abnehmen, die drei Schrauben der Kupplung, die sich herausgearbeitet hatten, wieder ganz einschrauben, und das war’s. Eine neue Dichtung für den Deckel und Sache von vielleicht fünfzehn Minuten. Satte sechzig Deutsche Mark, und damit zwei Monate Taschengeld hat er mir dafür abgeknöpft.

Angesichts der nun knappen Barmittel war an eine spontane Verlängerung der kleinen Reise nicht zu denken. Unsere Urlaubsbekanntschaft machte sich in eine andere Richtung auf den Heimweg, wir drehten ab in Richtung Norden, diesmal auf einer anderen Route. Und da es ohne Unterbrechung regnete, entschieden wir uns dafür, die Etappe nicht wie ursprünglich geplant an zwei Tagen, sondern am Stück zu fahren. Ein Erlebnis, das bei meiner nächsten Zweirad-Reise für ein gewisses Déjà-vu sorgen sollte.

Binnen Minuten waren wir bis auf die Haut nass. Und das sollte sich den restlichen Tag nicht ändern, sodass wir irgendwann auch völlig ausgekühlt waren. Auch wenn es zeitweise so schüttete, dass in den ausgefahrenen Spurrinnen der Straße manchmal zehn Zentimeter hoch das Wasser stand, wir fuhren weiter. Und die alten Mokicks hielten, es gab keine nennenswerten Zündungsausfälle, was durchaus keine Selbstverständlichkeit war. Wir begannen, „Windgesichter“ zu werden.

Warum man sich so etwas antut? Sicherlich hätten wir die Tour gerne ohne Panne und bei bestem Wetter mehr genießen können. Aber die Erfahrung, gegen alle Widrigkeiten dennoch das Ziel erreicht zu haben, war unbezahlbar. Sie schweißte zusammen und machte Lust auf mehr. Und es sollte mehr kommen …