Much bei Siegburg, 31. März 2015, 5:35 Uhr
Am Wochenende war Umstellung auf Sommerzeit, es ist noch stockfinster. Der Sturm pfeift um’s Haus, hoffentlich fällt keine der Fichten auf den neuen Anbau, die stehen viel zu nah am Haus. Am liebsten würde ich mich einfach umdrehen und weiter schlafen. Aber es hilft nichts, ich muss raus. Heiße Dusche, Frühstück, heißer Kaffee. Der Regen klatscht an die Fenster, langsam dämmert es. Das Auto steht in der Werkstatt, die Inspektion ist schon drei Wochen überfällig. Also muss die Honda heute ran, obwohl mir beim Blick aus dem Fenster so gar nicht nach Motorrad fahren ist. Als ich mich in die Lederkombi zwänge, wird mir direkt klar: Da müssen mal wieder ein paar Kilo runter, ich bin einfach zu unbeweglich und eingezwängt. Die Regenkombi drüber zu stülpen bringt mich ins Schwitzen. Ich bin jetzt 56 Jahre alt und denke so bei mir, dass ich das eigentlich nicht mehr brauche, während ich mühsam in die Stiefel schlüpfe.

Backnang, Frühling 1977
Nach zwei Jahren auf einem alten Kreidler-Mokick habe ich mir im Frühling endlich das erste Motorrad zugelegt. Die Honda Dax war für mich als Schüler drei Jahre zuvor nicht bezahlbar, sie war in unserer Gegend selten und wurde teuer gehandelt.

Also wurde es ein zehn Jahre altes Kreidler-Mokick in mäßigem Zustand. Dieser veränderte sich aber dann zusehends: neue Lackierung, selbst gebastelte Lenkerverkleidung, Sitzbank neu bezogen, Umbau von Hand- auf Fußschaltung und natürlich diverse illegale Tuning-Maßnahmen. Und alles auf mäßigem Bastler-Niveau, man erinnert sich. Jedenfalls war die Kreidler-Zeit mit viel unfreiwilliger Schrauberei verbunden.

Davon hatte ich genug, und der Umstieg auf eine Honda sollte diesbezüglich Besserung bringen. Schließlich galten die Motorräder dieser Marke dank des legendären Rufs der 750 Four als unverwüstlich. Die Suche nach einer gebrauchten, bezahlbaren 125er Honda verlief recht unbefriedigend, führte mich aber letztendlich nach Baltmannsweiler zu einem kleinen Honda-Händler namens Raichle. Als ich ihn anrief, um zu fragen, ob er vielleicht eine Gebrauchte in Zahlung genommen habe, die ich ihm abkaufen könnte, kam die Gegenfrage: „Warum willst du denn keine Neue?“ Als ich ihm dann erklärte, dass mein schmales Schülerbudget das nicht hergebe, kontert er mit dem Satz: „Über den Preis kann man ja reden.“ Schließlich wurden wir uns bei 2.000 Deutschen Mark für ein Auslaufmodell, eine CB 125 Disc einig.


So eine fabrikneue Honda war in den siebziger Jahren schon etwas ganz Feines. Die 125er läuft ganz ordentlich, ist sparsam und absolut zuverlässig. Mit meiner Freundin auf dem Sozius erkunden wir das Backnanger Umland. Nach und nach werden die Touren größer, und im Sommer 1977 machen wir uns mit Zelt und Schlafsack auf den Weg an den französischen Atlantik.

Aber beim Zwischenstopp in Paris erwischt uns eine heftige Schlechtwetterfront, die uns schließlich zur Umkehr zwingt. Nach einem Sechzehn-Stunden-Ritt in selbstgeschneiderten Kunstlederkombis und ohne Regenklamotten durch pausenlosen, strömenden Regen treffe ich zwei Entscheidungen: Erstens fahre ich nie wieder mehr als 350 Kilometer Motorrad an einem Tag, und zweitens muss eine andere Maschine her. Die Erinnerung, wie ich mit Urlaubsgepäck und Sozia auf französischen „Routes Nationales“ an Steigungen bei etwa 82 Stundenkilometern von Sattelzügen mit etwa 84 Stundenkilometern bei heftigem Regen überholt wurde, ist bis heute lebendig.
Als ich das Garagentor öffne, schlägt mir der Wind ins Gesicht. Ich setze den Helm auf und schiebe die Honda raus. Ich schließe das Garagentor und steige auf die kleine 400 Four. Vor drei Wochen, als wir zwei, drei warme Tage hatten, habe ich sie, bestückt mit einer nagelneuen Lithium-Ionen-Batterie, aus dem Winterschlaf geholt. Jetzt haben wir keine zehn Grad und alles ist klatschnass. Da kann die neue Batterie gleich mal zeigen, ob sie was taugt. Der Anlasser dreht, ein kurzes Poltern und Röcheln, ich nehme den Choke raus und der Motor nimmt sauber Gas an. Genauso kenn ich das Moped seit 37 Jahren.
Baltmannsweiler, April 1978
Andreas und ich stehen in dem kleinen Büro und Ausstellungsraum mit den Abmessungen einer Garage bei Helmut Raichle. An der Wand viele Fotos, die unter anderem ihn mit einer Norton Manx bei irgendwelchen Rennen zeigen. Als wir ihm gerade erklären, dass wir auf keinen Fall den Listenpreis für eine 400 Four bezahlen können, hält ein dicker Mercedes vor der Tür. Der Fahrer kommt herein und platzt mit der Feststellung in unser Gespräch, dass sein Sohn in zwei Wochen achtzehn werde und er ihm ein Motorrad schenken wolle. Er wolle also jetzt mal sehen, was es da so gebe. Der alte, brummelige Raichle ist von der großspurigen Art des Herrn sichtlich wenig angetan, aber der Kunde ist halt König. Und dieser Kunde verfügt offensichtlich über ausreichend Finanzen und Kaufwillen, da müssen die zwei Schulbuben erst mal warten. Nachdem der potenzielle Käufer sich zunächst mal über die 550er Honda hat informieren lassen, erklärt er, dass das Ding zu mickrig sei, es müsse schon die 750 Four sein. Die war auch mein Traum, aber damals schlicht unerreichbar. Schließlich fragt er nach dem Preis, und das auf eine Art, aus der deutlich wird, dass er einen erheblichen Preisnachlass erwartet. Raichle dreht sich um, zieht eine Honda-Preisliste aus dem Regal und zeigt mit dem Kommentar „Hier steht der Preis.“ darauf. Kurz danach verlässt ein ziemlich erboster Fast-Kunde den Ausstellungsraum. Raichle wendet sich wieder uns beiden zu und fragt: „So, jetzt erzählt mal, was macht ihr denn? Schule? Lehre?“ Das Gespräch endet damit, dass wir zwei blaue CB 400 Four zum Preis von je 4.000 Deutschen Mark statt des Listenpreises von 4.800 Deutschen Mark bestellen.



Als ich unten im Wahnbachtal auf die Landstraße einbiege, sehe ich gegenüber überschwemmte Auwiesen. Wenn der Wasserpegel noch etwa zwanzig Zentimeter steigt, wird die kleine Brücke nach Leverath überschwemmt und unpassierbar. Es muss die Nacht über heftig geregnet haben. Wegen der starken Windböen brauche ich meine Straßenseite in voller Breite. Sturmtief Niklas hat ganze Arbeit geleistet, überall liegen abgerissene Äste auf der Straße. Noch vor zehn Minuten habe ich gedacht, dass das bei dem Wetter kein Mensch braucht, aber die kleine Four hat immer wieder dieselbe Wirkung auf mich. Mit den richtigen Klamotten und diesem Motorrad unter dem Hintern wird das Wetter unwichtig, die Lebensgeister erwachen, die Reflexe kommen wieder und ich fühle mich um Jahre jünger. 37 Jahre, fünfzehn davon Sommer wie Winter, und 165.000 Kilometer mit der Four haben eben eine prägende Wirkung. Klar weiß ich, dass mir da meine Psyche einen Streich spielt. Aber klasse ist es trotzdem! Und noch eine Erinnerung kommt hoch. Als ich mich 2012 mit meinem damals zehnjährigen Sohn Piet auf dem Sozius auf den Weg zu den Bikers’ Classics nach Spa gemacht habe, war ähnlich miserables Wetter. Für sechs Jahre waren die Bikers’ Classics ein fester Termin in meinem Kalender. Ein Bekannter ist dort auf einer Rob North Triumph Trident regelmäßig im Vier-Stunden-Rennen gestartet. Schon 2010 hatte mich Piet nach Spa begleitet, damals allerdings im PKW. Als er 2011 unbedingt wieder mit wollte, musste er dafür vier Stunden über Landstraßen durch die Eifel als Sozius auf der 400er akzeptieren. Bei der Anreise war es in der Eifel bitterkalt, heimwärts haben uns heftige Wolkenbrüche begleitet. Ich hatte schon die Befürchtung, dass der Junge nach dem Trip die Nase vom Motorradfahren für immer voll hat, als über die Sprechanlage von hinten ein „… und nächstes Jahr will ich wieder mit!“ kam.

Also war er auch 2012 wieder mit dabei, als uns schon gleich bei der Abfahrt ein heftiges Unwetter begleitete. Bereits auf den ersten Kilometern lagen armdicke Äste auf der Straße, es ergossen sich Sturzbäche über die Fahrbahn und Keller liefen voll. Angesichts dieser Wetterbedingungen verzichteten wir auf die schönen Eifelsträßchen und nahmen die Autobahn. Aber um Köln standen wir dann eineinhalb Stunden im strömenden Regen im Stau. Zum Glück zeigte sich die kleine Four von solchen Sintfluten schon immer völlig unbeeindruckt.



Baltmannsweiler, Mai 1978
Endlich! Vor wenigen Tagen ist die Postkarte mit dem Stempel „Motorrad-Raichle“ eingetrudelt, deren kurze Mitteilung „Zwei 400 Four in blau eingetroffen.“ sofort fiebrige Erwartung auslöst.




Andreas kann nicht mit, er ist ausbildungsbedingt verhindert. Seine Honda soll ich einige Tage später für ihn abholen. Ich stehe in der kleinen Werkstatt, in der der Mechaniker, ein Zwei-Meter-Mann, gerade seine Monkey abstellt. Ein kurioser Anblick, wie dieser Hüne sich auf der Monkey zusammenfaltet. Während ich warte, fällt mir ein riesiges schwarzes Plakat an der Werkstatttür auf. In großen goldenen Lettern steht da zu lesen: „Es gibt nur einen Ton! Norton!“ Als wollte sich Widerspruch erheben, höre ich in dem Moment schon von Weitem das Grollen eines großen Vierzylinders mit offenem Auspuff, der sich schnell nähert. Raichle sitzt im Ein-Mann-Höcker einer getunten CB 750 Four, lang über den Alu-Tank gestreckt, als er in die Einfahrt einbiegt. Ich habe gehörigen Respekt vor solchen Maschinen und kann mir nicht wirklich vorstellen, so was mal zu fahren. Doch das sollte nicht mein einziger Irrtum bleiben. Ziemlich geladen ist er, als er absteigt. Brummt etwas von einem Autofahrer, der meinte, ihn behindern zu müssen, dem er aber mit seinen stahlkappenbeschlagenen Stiefeln bei voller Fahrt im Überholvorgang gezeigt habe, „wo dr Bartl dr Moschd hold“. Ich schweige ehrfürchtig. Es tut schon weh, als ich ihm ein paar Minuten später die 4.000 Deutschen Mark in die Hand drücke. Der Ertrag aus der verkauften 125er, angespartes Taschengeld, Bargeschenke von den Omas zum Geburtstag und zu Weihnachten und vor allem sauer Selbstverdientes in jeglichen Ferien, die das Schuljahr so bot – zusammen hat’s gerade so gereicht. Aber da draußen in der Sonne steht eine nagelneue 400 Four, deren blauer Tank im Sonnenlicht mit der damals einmaligen verchromten Vier-in-Eins-Auspuffanlage um die Wette glänzt, da gibt es kein Zögern. Lebe Deine Träume! Die knapp vierzig Kilometer Heimweg schwebe ich auf Wolke sieben. Die ersten Kilometer noch etwas verunsichert durch das spürbar höhere Gewicht im Vergleich zur 125er, begeistert mich doch sofort die erstklassige Gasannahme und der seidenweiche Lauf des kleinen Vierzylinders, der mir damals doch ziemlich groß erschien. An jeder Ampel denke ich, der Motor wäre abgestorben, so ruhig und leise läuft er. Erst der Blick auf den Drehzahlmesser klärt mich über meine falsche Annahme auf.



Der Regen und das beschlagene Visier nehmen mir die Sicht, als ich vorsichtig die Serpentinen von Marialinden nach Overath hinunter fahre und dabei den herumliegenden Ästen ausweiche. Jahrzehntelange Allwetterfahrten, lange Urlaubsreisen, durchgefahrene Winter, alles das liegt einige Zeit zurück. Aber die gemachten Erfahrungen und die dabei im Wortsinn „erfahrene“ Routine relativieren diese Wetter- und Straßenbedingungen erheblich. Und der Avon Roadrider ist im Vergleich zur Bridgestone-Erstbereifung von 1978 klebrig wie ein Kaugummi. Ich erinnere mich, im Sommer 1978 reichte das knappe Schülerbudget nicht für einen Urlaub, zumal in den Ferien die Versicherungsbeiträge und Inspektionskosten für die Honda „hereingejobbt“ werden mussten. Nur ein verlängertes Wochenende im Schwarzwald zusammen mit der Moped-Clique war drin. Und da wurden zwei Dinge ganz schnell klar: Die serienmäßige Bridgestone-Bereifung war insbesondere bei Nässe schlicht lebensgefährlich, und die Stoßdämpfer waren absolut Sozius-untauglich, die Kombination aus beidem machte die Honda mitunter doch recht schaukelig. Der Tausch der erst halb abgefahrenen Bridgestones gegen Conti-Zwilling-Bereifung und ein paar Konis schafften damals Abhilfe, auch wenn es sehr schmerzlich für’s Taschengeld-Budget war.
Backnang, Ende September 1980, ca. 1:30 Uhr nachts
Laut ratternd schließt sich das Rolltor der Tiefgarage. Glatte Fehlkonstruktion! Erst säuselt die kleine Four flüsterleise in die Garage, ohne dass auch nur ein Nachbar etwas mitkriegt, und dann macht das Geratter die halbe Straße wach. Als ich in die Wohnung komme, sind die Betten schon gemacht. Unsere beiden Gäste sind nach den 1.000 Kilometern von Ancona nach Backnang völlig erschossen. 1.000 Kilometer? Wie war das mit dem Grundsatz: „Nie mehr als 350 Kilometer am Tag“? Mit dem entsprechenden Sitzfleisch und der 400 Four nicht wirklich ein Problem. 1979 hatte die kleine Four ihre erste Langstrecke nach Irland ohne Probleme absolviert.

Die Strecke von Backnang nach Cherbourg hatten wir recht entspannt in zwei Tagen bewältigt, per Deckpassage ging es direkt nach Rosslare. Mit Zelt und Schlafsack konnte man zu der Zeit noch ohne jegliche Buchung von Campingplätzen und Fähren für kleines Geld durch Europa reisen. Und da meine Freundin und ich frischgebackene Abiturienten mit schmalem Geldbeutel waren, musste es schon kostengünstig sein. Drei Wochen waren wir durch Irland auf teilweise sehr schlechten Straßen mit hoher Zuladung unterwegs, aber die Honda zeigte sich absolut zuverlässig. Ein Gepäckträger und ein paar Sturzbügel von Schuh, ein Harro Elefantenboy, ein paar umgebaute Plastik-Bohrmaschinenkoffer von Bosch – als Ferienjobber dort für fünf Deutsche Mark das Stück erstanden – und ein Lenkungsdämpfer machten die kleine Four langstreckentauglich. Zwei nach Harro-Schnitt auf einer ausgedienten Schuhmacher-Nähmaschine selbstgenähte Lederkombis sowie zwei knallorange Rukka-Regenkombis der ersten Generation sorgten auch bei der Four-Besatzung für Tourentauglichkeit. Unerreicht bleibt ein in diesem Urlaub aufgestellter Verbrauchsrekord: 3,7 Liter auf 100 Kilometer bei voller Beladung mit zwei Personen plus Campingausrüstung auf einer französischen „Route Nationale“. Im Mai 1980 lockt mich erneut Irland. Erstmals mache ich mich ganz alleine auf den Weg. An jenem Morgen tatsächlich das beladene Motorrad aus der Garage zu schieben und loszufahren kostet wirklich Überwindung, und die ersten ein, zwei Stunden will keine rechte Urlaubsstimmung aufkommen. Aber als die Honda die „Route Nationale“ in Richtung Westen unter die Contis nimmt, siegt der Drang, weiter zu fahren, über den Wunsch umzukehren. Diesmal spult die kleine Four vier Wochen lang anstandslos unzählige Kilometer auf französischen und irischen Straßen ab. Als ich auf der Rückreise in Cherbourg am frühen Abend die Fähre verlasse, würde ich am liebsten direkt nach Backnang durchfahren. Aber eine Nachtfahrt verkneife ich mir dann doch lieber. Stattdessen spule ich am anderen Tag 1.000 Kilometer abzüglich Tank- und Pinkel-Stops und ein paar schnell verschlungene Pommes Frites überwiegend auf „Routes Nationales“ in zehn Stunden ab! Die kleine Four steckt auch das weg, quittiert es mit leichtem Ölnebel an der Kopfdichtung. Und schon im September geht es wieder auf Reisen: Meine Freundin will in den Süden. Diesmal geht’s über den Brenner nach Ancona. Von dort bringt uns die Fähre per Deckpassage nach Patras. Die lange Überfahrt verbringen wir mit einem jungen Winzerpärchen von der Mosel, das mit einer Yamaha XS 650 unterwegs ist, am Pool auf dem Oberdeck.

Von Patras geht es weiter nach Piräus, wo wir die Nachtfähre nach Kreta nehmen, die sich als furchtbarer Schüttelkahn erweist. Die Maschine versetzt das ganze Schiff in solche Vibrationen, dass an echten Schlaf kaum zu denken ist. Aber das Ganze erinnert uns sehr an Alexis Sorbas, was uns milde stimmt. Gerade als wir Kreta erreichen, entschädigt uns ein traumhafter Sonnenaufgang bei völliger Windstille für die schlaflose Nacht. Als wir an Land gehen, ist es noch so früh, dass nirgendwo ein Kaffee zu bekommen ist. Vier Wochen bereisen wir die Insel. Die Straßenverhältnisse sind unbeschreiblich. In den Bergen lauern hinter Kurven immer wieder kleine, sandige Wanderdünen, außerdem liegen auf den kleinen Bergstraßen oft überfahrene Schlangen.

Trotz der mörderischen Hitze lassen wir die Lederkombis an. Vorsicht, die sich bezahlt macht. Wir treffen zahlreiche deutsche und österreichische Motorradfahrer, jeder Zweite ist bereits gestürzt. Und alle haben sie sich mangels Schutzkleidung entsprechende Verletzungen zugezogen. Also doch lieber schwitzen. In den Bergdörfern machen wir gelegentlich an einer der kleinen Dorftavernen Pause, um etwas zu trinken. Und wieder fühlen wir uns an Alexis Sorbas erinnert: Meist ältere Herren in traditioneller Tracht sitzen dort und beobachten uns schweigend. Die zurückhaltende, aber aufmerksame Gastfreundschaft ist toll, aber meine Freundin bekommt von mancher der Frauen auch einen missbilligenden Blick, was wohl der eng anliegenden Lederkombi geschuldet ist. Die Straße in den Ostteil der Insel ist laut ADAC-Karte vierspurig ausgebaut. Wir treffen allerdings nur eine aufgeschüttete Schotterpiste mit teilweise sehr tiefen Löchern an. Immer wieder kommen uns Baustellen-LKW mit sehr hohem Tempo entgegen, die uns in eine Staubwolke einhüllen und uns die Steine um die Ohren fliegen lassen. Viele Kilometer kann ich die Honda bei extremen Temperaturen auf dieser Piste nur im ersten und zweiten Gang bewegen. Unter diesen Bedingungen wird der Motor bedenklich heiß. Nicht nur die mangelnde Fahrtwindkühlung setzt ihm zu, er ist aus Kostengründen auf 27 PS gedrosselt. Und die Drosselmethode ist ziemlich brachial und sorgt für einen zusätzlichen Hitzestau. Es wurde nämlich einfach im Sammeltopf der Vier-in-Eins-Anlage ein Reduzierstück eingeschweißt. Das verringert den Durchmesser so erheblich, dass ich nicht mal meinen kleinen Finger durchstecken kann. Im kochenden Öl rutscht und rappelt die Kupplung, aber das Motörchen hält durch. Nur die Gabel schlägt in den tiefen Löchern immer wieder durch, ist halt keine XT. Wir treffen ein paar Motorradfahrer aus Schorndorf und ziehen mit ihnen weiter über die Insel.



Auch eine Lebensmittelvergiftung, durch sehr mangelhafte hygienische Bedingungen im Campingplatz-Restaurant bei der Fleischzubereitung verursacht, überstehen wir. Auf der Fähre nach Ancona treffen wir ein Pärchen aus Bremen, das mit der neuen Zweizylinder-400er von Honda seine erste Urlaubstour macht. Von Ancona nach Backnang fahren wir, abgesehen von einem Wienerwald-Besuch nach der Brenner-Überquerung, in einem Rutsch durch. Einziges echtes Hindernis ist der starke Nebel, der mit der Nacht diesseits der Alpen aufkommt, der bremst uns echt aus. Entsprechend erschöpft fallen die beiden spätnachts dankbar für die Unterkunft bei uns ins Bett, bevor sie sich am anderen Tag auf den Heimweg nach Bremen machen. Ich muss schmunzeln, denn die nun schon etwas „veraltete“ 400 Four hat sich eindeutig besser geschlagen als ihre modernere Nachfolgerin.
In einer der Kurven liegt der erste umgekippte Baum, zum Glück ragt nichts in die Fahrbahn. Unten geht’s über die Agger-Brücke, der kleine seichte Fluss ist über Nacht zum reißenden Strom geworden. Ich entscheide mich, lieber nach links auf die Hauptverkehrsader abzubiegen und die sonst von mir bevorzugten Sträßchen durch Felder und Wälder diesmal zu meiden, man muss ja keine unnötigen Risiken eingehen. Ich fahre durch Overath und stelle fest, dass die positive Wirtschaftslage und die niedrigen Bauzinsen auch hier für eine rege Bautätigkeit sorgen. Die lange, gut ausgebaute Steigung nach dem Ortsausgang bietet die Möglichkeit, den Motor endlich mal auf Drehzahl kommen zu lassen und alle sechs Gänge durchzuschalten. Die ausgesprochene Drehfreudigkeit – der rote Bereich beginnt erst bei 10.000 Umdrehungen pro Minute – und das Sechsganggetriebe sind der ergänzenden Modellbezeichnung „Super Sports“ geschuldet. Mitte der siebziger Jahre reichten eben noch 400 Kubikzentimeter zum Supersportler. Umso erstaunlicher, dass dieses Motorrad sich trotz des kleinen Hubraums auch als Tourer so gut schlägt.
Sommer 1980


Es geht erneut nach Irland. Wir treffen Albert, der mit seiner neuen Triumph Tiger nach kommt, auf dem idyllisch gelegenen Bio-Bauernhof seiner Schwester, die vor einigen Jahren ausgewandert ist. Es ist seit Jahren der heißeste und trockenste Sommer auf der irischen Insel, seit sechs Wochen bleibt der Regen aus. Wäsche wird im nahe gelegenen Bach gewaschen, da der hauseigene Brunnen kaum noch Wasser führt. Wer auf die Toilette will, marschiert mit einem Wassereimer erst mal zum Bach, damit er anschließend spülen kann.


Hätte es damals schon den Aufdruck „Rauchen kann tödlich sein.“ auf Zigarettenschachteln gegeben – er hätte mein Missgeschick wohl kaum verhindert. Zumal er auf den irischen Carrolls Nr. 1 wohl nicht gestanden hätte. Da die unglückliche Drosselmethode den Temperaturhaushalt der kleinen Four insbesondere bei hoher Zuladung immer wieder an die Grenzen bringt, entschließe ich mich kurzerhand dazu, den Reduzierring rauszuschmeißen. Schließlich wird eine Motorrevision teurer als die höheren Versicherungsbeiträge für die 50-PS-Klasse. Es dauert eine Weile, bis die Schweißnaht von Hand abgefeilt ist, aber nach einigem Schwitzen kann der Motor endlich frei durchatmen. Schnell noch Ventilspiel und Zündzeitpunkt kontrolliert, dann rollt die Four zum Hoftor raus. Die Probefahrt über die kleinen, unübersichtlichen, von Hecken, Sträuchern und Bruchsteinmauern gesäumten irischen Landsträßchen entlang des westlichen Lough-Derg-Ufers verläuft höchst befriedigend. Irgendwann kehre ich um, das Hoftor ist schon in Sichtweite und ich nehme das Gas weg, als mir einfällt, dass ich noch Zigaretten brauche. Also wieder am Kabel gezogen und flott in die enge Rechtskurve gebrettert, die in Richtung Whitegate führt, im Pub gibt’s Fluppen-Nachschub. Viel zu spät sehe ich den großen Kuhfladen in der Kurve, den ich prompt mit dem Vorderrad erwische. Die Front bricht aus, das Rad schmiert weg, aber ich kann die ganze Fuhre abfangen. Allerdings nur, indem ich die Honda blitzschnell aufrichte und so geradeaus aus der Kurve schieße. Die wird begrenzt durch eine steile Böschung, auf der eine Hecke thront, und beides steht nun wie eine Mauer vor mir. Mit etwa sechzig Sachen schlage ich ein, fliege kopfunter in die Hecke. Glück gehabt: Ich habe keinen Kratzer. Anders die kleine Four. Der Lenkanschlag ist abgerissen, die Gabelbrücken und das Standrohr haben tiefe Abdrücke im Tank hinterlassen. Beide Standrohre sind abgeknickt, etwa ein Drittel der Speichen hat es samt Nippel aus dem Felgenband gerissen. Mit der Schubkarre schaffen wir das lädierte Motorrad die hundert Meter bis zum Hof.





Die Suche nach Ersatzteilen stellt sich als problematisch dar, Honda Irland hat zwei Wochen Betriebsferien. Und mangels Materialnachschub schließen sich die Werkstätten dieser Urlaubsplanung an. Nach einiger Suche bekommen wir aber dank der freundlichen Hilfe eines Jaguar-fahrenden Werkstattkunden, der seinen Rasenmäher reparieren lassen will, telefonischen Kontakt mit dem Werkstattbesitzer, der gerade in Schottland weilt. Am Telefon verhandeln wir den Preis für die gebrauchten und dringend benötigten Teile und bekommen den Standort der Schlachtmaschine genannt. Mit den ausgebauten Teilen machen wir uns auf den Rückweg. Nachdem alles montiert ist, stellt sich heraus, dass die Gabelbrücken verzogen sind. Da ich nur noch wenig Zeit für die Rückreise habe, entschließen wir uns einfach alles grade zu biegen. Mangels Schraubstock wird ein Tor zur angrenzenden Weide kurzerhand umfunktioniert, ein Standrohr wird in das untere Stahlrohr des Tors gesteckte, dann die Gabelbrücke drauf geschraubt, anschließend kommt das zweite Standrohr verkehrt rum rein. Dann steige ich auf das herausragende Standrohr und wippe vorsichtig, Albert liegt auf dem Bauch und peilt. Alles wird nach Augenmaß gerichtet, nach einigen Stunden ist die Honda startklar und beladen. Die Zeit ist knapp, in drei Tagen muss ich den Zivildienst wieder antreten. Sehr „zügig“ geht es zur Fähre nach Rosslare, die wir gerade noch rechtzeitig erreichen. Von Cherbourg fahren wir dann so schnell wie möglich weiter und spulen mal wieder 1.000 Kilometer in gut zehn Stunden fast ausschließlich auf „Routes Nationales“ ab, aber da die Honda die unsägliche Drossel los ist, nimmt sie’s gelassen. Den Zivildienst trete ich etwas übermüdet, aber pünktlich wieder an.

Von Heiligenhaus führt die Straße in gut ausgebauten Kurven nach Untereschbach. Es regnet noch immer, und die Wassermassen haben viel Erdreich und Steine aus dem Straßengraben auf die Fahrbahn gespült, also lasse ich mir Zeit und rolle langsam bergab. Dank der Eckert-Lochung in den Bremsscheiben kommt es beim Anbremsen nicht mehr zu dem Effekt, dass die Bremse erst gar nicht reagiert, um dann, nachdem sie trocken gebremst ist, plötzlich abrupt einzusetzen. Mir ist völlig unverständlich, dass es Menschen gibt, die bei diesem Thema den Originalzustand vor die Sicherheit setzen. Langsam rieselt mir Wasser vom Helm in den Kragen, Mist, beim Anziehen wieder nicht aufgepasst. Die Füße werden auch langsam nass, da sind bald mal neue Stiefel fällig.
Herbst 1982
Die ZVS schickt mich zum Studium nach Köln. Als Ganzjahresfahrzeug leidet die Honda, bleibt aber immer zuverlässig. Als die Zylinderkopfdichtung dann immer mehr für ölimprägnierte Stiefel sorgt, zerlege ich mit dem Werkstatthandbuch in der einen Hand, dem Schraubenschlüssel in der anderen den Motor auf dem Küchenhocker in der WG-Küche. Und ihr ramponiertes Äußeres wird bei der Gelegenheit mit der billigen elektrischen Spritzpistole aus dem Baumarkt auf dem Balkon aufgepeppt.

Nachwuchs stellt sich ein, und da wir nun in der Regel zu dritt unterwegs sind und in der Stadt das Fahrrad nutzen, wird sie nicht mehr so viel bewegt. Trotzdem bleibt sie im Haushalt, ein Verkauf steht nicht zur Diskussion, auch wenn das Geld sehr knapp ist. Die Jahre vergehen, das Studium zieht sich hin, die Honda parkt Sommer wie Winter auf der Straße. Die finanziellen Mittel sind knapp, längere Motorradreisen sind nicht drin. Dafür muss sie immer wieder schnelle Autobahnfahrten von Köln nach Backnang absolvieren. Während ich die Diplomarbeit schreibe, wird die 400er fast restlos zerlegt. Alles wird aufgearbeitet, und sie bekommt nach den diversen Farbwechseln der vergangenen Jahre endlich wieder die Original-Lackierung. Zeitgleich mit dem bestandenen Diplom steht sie wieder in ordentlichem Zustand vor der Haustür.

Ab Untereschbach geht es nur noch im Stop-And-Go-Tempo weiter. Der Berufsverkehr kommt bei diesen Wetterbedingungen fast zum Erliegen. Ich rolle langsam an einem Teil der Blech-Karawane vorbei, immer auf der Hut vor sich plötzlich öffnenden Autotüren oder hektisch wendenden Fahrern. Überall steht das Wasser, sicher sind hier im Ort wieder einige Keller vollgelaufen. Vorbei am alten Zollhaus überquere ich die Brücke über die Sülz, die zum reißenden Fluss geworden ist. Es ist einige Zeit her, dass ein paar Kajak-Fahrer hier in der Region einen dieser kleinen Flüsse bei solchen Wetterbedingungen unterschätzt haben, für einen von ihnen ist’s tödlich ausgegangen. Nicht nur beim Motorradfahren muss man den Verstand online lassen.
Die neunziger Jahre
Die neunziger Jahre haben begonnen, der Wechsel ins Berufsleben steht unmittelbar bevor, und damit verbunden sehr viel weniger Flexibilität in der Urlaubsgestaltung. Ich will diese letzte Chance für lange Jahre nutzen und noch mal einen langen Urlaubstrip unternehmen, endlich soll der lange gehegte Wunsch einer Schottland-Reise in Erfüllung gehen. Im letzten Moment entschließt sich Albert, die Triumph Tiger zu satteln und mitzukommen. Es herrsch Gluthitze, als wir Frankreich in Richtung Westen durchqueren, um von Calais nach Dover überzusetzen. In fünf Wochen nehmen wir Wales, Cumbria, Northumberland, Schottland, Nordirland und die Republik Irland unter die Räder.



Es sollte ein unvergesslicher Motorrad-Urlaub mit einer Fülle unvergesslicher Erlebnisse werden. Gerade mal drei Tage Regen haben wir in der ganzen Zeit, in Schottland hole ich mir sogar einen Sonnenbrand. Überall fallen wir auf, werden angesprochen, die Engländer haben ganz offensichtlich eine völlig andere Beziehung zu alten Motorrädern. Und die Maschinen laufen wie am Schnürchen. An der schottischen Westküste treffen wir die ersten Ex-DDR-Touristen, die mit dem Wartburg die neue Freiheit erobern. Die Welt hat sich verändert.
Endlich rollt der Verkehr wieder. In lang gezogenen Kurven geht es bergauf Richtung Bensberg, aber schon weit vor der Autobahn-Ausfahrt Moitzfeld beginnt der nächste Stau. Alles ist so feucht, dass nicht nur das Visier, sondern jetzt auch die Brille beschlägt. Da hilft nur Fahrtwind, aber den bekomme ich nicht. Dann wird’s ganz unangenehm, die Regenkombi ist ganz offensichtlich im Schritt undicht. Irgendwie ist das immer die Stelle, an der die Dinger ihrer Aufgabe als erstes nicht mehr nachkommen. Nachdem ich die Autobahn passiert habe, rolle ich langsam bergab nach Bensberg hinein und arbeite ich mich durch den Verkehr. 33 Jahre ist es her, seit ich diese Straße erstmals gefahren bin. Ostern 1982 hatte ich einen Freund besucht, der in Köln studierte, nicht ahnend, dass ich schon ein halbes Jahr später selbst nach Köln gehen würde. Und weil herrliches Wetter war, führte uns eine gemeinsame Spritztour – er mit dem alten Heinkel-Roller, ich mit der 400 Four – ins Bergische Land und auf dem Rückweg durch Bensberg. Das charakteristische und jedem Architektur-Studenten bekannte Rathaus ist ein guter Fixpunkt für die Erinnerung.








Köln 1998

Ein seltsam klackerndes Geräusch hat mich auf die Spur des kaputten Lagers der Getriebe-Ausgangswelle gebracht. Und das gerade mal eine Woche vor der geplanten Norwegen-Tour. Es sollte mir aber nicht wie im vorangegangenen Sommer gehen, als mich die Honda mit Ölnebel am gesamten Motor am ersten Urlaubstag nach wenigen Kilometern Richtung Toskana zur Rückkehr und dem Umstieg auf’s Auto zwang. Letztendlich war’s nur ein eingeklemmter Kurbelgehäuse-Entlüftungsschlauch gewesen – kleine Ursache, große Wirkung – und leider erst nach der Rückkehr aus dem unfreiwilligen Auto-Urlaub entdeckt. Nein, diesmal wollte ich trotzdem mit dem Motorrad fahren. Da mir der Job aber gerade kaum Zeit lässt, gibt’s nur einen Weg: Motor schnell ausbauen und zum Honda-Händler meines Vertrauens bringen. Und weil der Tacho inzwischen über 130.000 Kilometer anzeigt, lautet der Auftrag: alle Dichtungen, Motor- und Getriebelager austauschen. Damit nimmt das Schicksal dann seinen Lauf. Als ich zwei Tage später den fertigen Motor abhole, ist der Rechnungsbetrag so niedrig, dass ich stutze. Auf Nachfrage erklärt mir der Mechaniker, dass mir da einer einen Bären aufgebunden habe, dieser Motor habe niemals so viele Kilometer auf dem Buckel. Er habe alles vermessen, es sei alles noch gut innerhalb der zulässigen Toleranzen. Deshalb habe er nur dieses eine defekte Lager und die Dichtungen erneuert. Soweit ich mich erinnere, war ich ziemlich aufgebracht. Also gute Miene zum bösen Spiel gemacht und den Motor eingebaut, schließlich wollen wir in zwei Tagen starten, die Fähre ist gebucht. Auf dem Weg nach Norden zuckt die Honda auf der Autobahn einmal ganz kurz, ich tippe auf einen Zündungsaussetzer. Den kann ich mir zwar nicht erklären, aber danach läuft sie zunächst wieder wie gewohnt. Wir durchqueren das südliche Norwegen und fahren bei strahlendem Sonnenschein und null Grad den ganzen Tag entlang herrlicher Bergstrecken über Hardangervidda.

Die neuen Thermokombis über dem Leder lassen uns zwar wie Michelin-Männchen aussehen, halten aber mollig warm. Ich wünschte, so was hätte ich schon früher gehabt. Dann geht’s auf zum Teil winzigen Straßen und mit unzähligen kleinen Fähren an traumhaften Fjorden entlang. Ein Stück nördlich von Bergen haben wir ein Ferienhaus gebucht, und verbringen einige entspannte Tage mit kleinen Touren ins Umland. Auf einer Tagestour Richtung Norden passiert es dann. Das Hinterrad blockiert kurz, dann rappelt’s im Getriebe. Wie sich später herausstellt, hatte ein Getriebe-Nadellager offenbar durch einen abgebrochenen Teil des Lagerkäfigs aus dem defekten Getriebe-Ausgangslager Schaden genommen, was aber nicht erkennbar war. Der vermeintliche Zündaussetzer war ein kurzes Blockieren dieses Lagers, das dann immer mehr Spiel bekam, bis schließlich auch die zugehörige Welle anfing zu fressen. Es sollte das einzige Mal in bislang 37 Jahren sein, dass die kleine Four nicht auf eigener Achse nach Hause kam. Sechs Wochen später wird sie per LKW angeliefert. Ein gebrauchtes Getriebe, ein Lager- und Dichtungssatz, eine überschliffene und neu gehärtete Nockenwelle und ein Kolbensatz mit dem ersten Übermaß kurieren sie. Der Honda-Händler zeigt sich kulant und übernimmt die Hälfte der Kosten.
Noch ein paar Hundert Meter sind’s zum Büro. Langsam ist mir kalt, gut dreißig Kilometer bei diesem Wetter sind genug, schließlich werden meine Knochen nicht jünger. Und ich kann sie nicht gegen Neuteile austauschen wie an der kleinen Four. Als ich sie abstelle, rinnt Wasser aus dem aufgeplatzten Sitzbankbezug. In meinem Schuppen liegt halb fertiger Ersatz, wird Zeit, das endlich mal zu Ende zu bringen. Überhaupt sollte ich mal wieder eine ganz große Inspektion machen. Ich schüttel das Wasser von meiner Regenkombi und schließe die Tür auf …

Sommer 1999
Es sollte die bislang letzte größere Urlaubstour mit der 400 Four werden. Zwei Kinder, ein altes Haus und ein eher mäßig bezahltes Sozialberufler-Dasein schränken die Möglichkeiten nun mal ein. Noch einmal wird die Honda mit dem kompletten Camping-Equipment für zwei Personen beladen. Um ihr die lange Autobahn-Etappe zu ersparen, haben wir den Autoreisezug nach Brindisi gebucht. Keine gute Entscheidung, wie sich zeigen sollte, Murphys Gesetz schlägt mit allem zu, was es zu bieten hat: Verspätung, hektisches Beladen, Transportschäden, ausgefallene Klimaanlage bei Gluthitze, miserabler Service, unfreiwilliger mehrstündiger Aufenthalt, verpasste Fähre. Irgendwie gelingt es uns trotzdem, nach dem Entladen die wunderschöne Strecke durch die Berge zu genießen. Stundenlang fahren wir bei herrlichem Wetter auf verschlungenen Bergstraßen in Richtung Fährhafen. Auf einem kleinen Campingplatz oberhalb des Hafens übernachten wir, um am anderen Morgen zu unchristlicher Zeit einen der wenigen freien Fährplätze zu ergattern. Aber Korsika entschädigt uns mit allem, was es zu bieten hat, es wird ein wunderbarer Urlaub. Wie immer ist auf die Honda absolut Verlass, und die kleinen Bergstraßen der Insel sind das ideale Revier für sie.


Endlich, ein dampfender Kaffee steht auf dem Schreibtisch vor mir. Während ich ihn schlürfe, schweifen meine Gedanken noch einmal ab. Endlose Kilometer in sengender Hitze, auf miserablen Straßen, bei strömendem Regen, bei Kälte und sogar im Schnee habe ich mit diesem Motorrad abgespult. Verschwitzt, staubig, nass, durchgefroren, übermüdet, erschöpft bin ich oft angekommen. Aber ich bin angekommen! Es gibt wahrlich angenehmere, bequemere, sicherere und heute schnellere Möglichkeiten von A nach B zu kommen, aber nicht viele, die so prägend sind und einen so viel erleben lassen.






Ich will keinen der inzwischen 165.000 auf diesem Motorrad abgespulten Kilometer missen. Mein Leben hat sich verändert, Familie, Job und alles was daran hängt, geben kaum noch Raum, mit dem Motorrad lange Reisen zu unternehmen. Meist geht’s nur mal für eine Feierabendspritztour oder über ein Wochenende auf die Landstraße. Aber jedes Mal macht das alte Motorrad noch genau so viel Spaß wie vor 37 Jahren, auch wenn alles längst vertraut und nicht mehr mit der prickelnden Aufregung, dem kleinen Adrenalin-Schub des Neuen versehen ist. Für den Adrenalin-Schub sorgt inzwischen gelegentlich eine andere 400 Four, eine, die im vollen Renn-Trimm in der Garage steht und nach Rennstrecke und Drehzahlen lechzt. Aber das ist eine andere Geschichte …
Es ist immer wieder interessant, was so alles auftaucht, wenn man sein Archiv mal aufräumt. Hier zwei alte Artikel, zum selben Thema:
Ein ganzes halbes LebenLebensgefährten