Werkstatt

That’s Racing

„Besser langsam in eine Kurve zu fahren und schnell heraus zu kommen, als schnell hineinzufahren und tot heraus zu kommen.“ (Stirling Moss)

Armin

Meine Triumph Trident und der Schottenring-GP haben mich dazu gebracht, Rennen – wenn auch „nur“ nach dem Gleichmäßigkeitsmodus – zu fahren. Im Fahrerlager in Oschersleben bekam ich noch vor meinen ersten Pisten-Erfahrungen mal zufällig eine Unterhaltung von zwei Fahrern mit, beide über siebzig Jahre alt, von der ich damals annahm, dass hier welche eine spätpubertäre dicke Lippe führten. Der Dialog entwickelte sich nach einem Austausch über ihre Rennmaschinen ungefähr wie folgt.

Der Kleinere: „… Soso. Und was fährst du auf der Straße für ein Motorrad?“ Darauf der Größere: „Auf der Straße? Ich bin doch nicht verrückt! Ist mir viel zu gefährlich. Hier beim Rennen fahren alle in die gleiche Richtung, keiner kommt mir entgegen, keiner nimmt mir die Vorfahrt, es gibt keine parkenden Autos, keine Laternenmasten, keine Bordsteinkanten, keine Gartenmauern. Und alle fahren nach den gleichen Regeln und können das.“

Wie gesagt, ich hielt das damals für deutlich überzogen. Heute, nach fünfzehn Jahren auf diversen Rennstrecken und 48 Jahren als Zweiradfahrer auf öffentlichen Straßen, stimme ich im Wesentlichen zu. Der Straßenverkehr ist auf einem Motorrad mit erheblich größeren Gefahren verbunden als auf einer Rennstrecke wie zum Beispiel Hockenheim, wo es keine festen Hindernisse in unmittelbarer Nähe der Fahrbahn und in jeder Kurve ein Kiesbett gibt. Stürze verlaufen hier in der Regel glimpflicher als auf normalen Straßen. Bleibt im Wesentlichen das Risiko, mit anderen zu kollidieren.

Am Vorstart: Wenige Minuten vor dem Crash

Etwas anders verhält es sich mit dem Thema Straßenrennen, also auf Pisten, die keine permanenten Rennstrecken sind. Hier gibt es „Mobiliar“, also fast alle in oben geschildertem Dialog aufgezählten Hindernisse, auf die man prallen kann. Dies war einige Jahre der Grund, warum ich in Schotten nicht gestartet bin. Außerdem war meine Klasse dort nicht zugelassen. Letzteres änderte sich irgendwann. Ex-Profi Peter, den ich vom Nürburgring her kannte, sagte mir zu Schotten mal: „Dort fährt man für’s Publikum, alles andere ist zu gefährlich, also fährt man höchstens auf achtzig Prozent.“ Und da ich ja inzwischen einige Erfahrung sammeln konnte, ging ich 2016 erstmals und mit einigem Respekt vor der Strecke an den Start. Technik-Probleme vereitelten jedoch eine echte Teilnahme, warum, kann in dem Beitrag „Reifeprozess“ nachgelesen werden.

2017 nahm ich also einen neuen Anlauf. Ich hatte mir endlich eine gute Rennkombi samt Rückenprotektor und einen neuen hochwertigen Helm zugelegt. Die Honda war gründlich überarbeitet und machte zunehmend Spaß, lief zuverlässig und mit ordentlich Leistung. So viel Leistung, dass ich sie in Schotten gar nicht voll ausfahren konnte. Das freie Training lief prima, ich begann mich an den engen Kurs zu gewöhnen.

Dann stand das Zeittraining auf dem Plan. Wir wurden vom Vorstart auf die Strecke gewunken, ich bog nach der kurzen Steigung in die Start-Ziel-Gerade ein, schaltete in den zweiten Gang, gab Gas – dann starb der Motor ab. Ich war mir sicher, dass die Zündung ausgefallen war, denn alle vier Zylinder waren schlagartig tot. Also den Arm als Warnzeichen für die nachfolgenden Fahrer gehoben und rechts an den Streckenrand gerollt, denn links donnerte gerade die ganze Meute an mir vorbei. Kurz bevor ich direkt neben der Leitplanke zum Stehen kam, nahm ich noch ein seltsames Knacken von hinten wahr, ich sackte etwas nach unten ab, als wäre etwas gebrochen. Und mit diesem Moment endet meine Erinnerung abrupt.

Als Nächstes erinnere ich mich, dass ich auf dem Rücken auf der Strecke lag und in den blauen Himmel mit wenigen weißen Wölkchen schaute und mich fragte, wieso ich in den Himmel schaute. Dann wurde mir klar: Das war ein Crash. Vorsichtig testete ich, ob ich alle Gliedmaßen bewegen konnte und ob irgendetwas schmerzte. Schien alles okay zu sein, also stand ich langsam auf. Eine Gruppe Sanitäter und ein Notarzt rannten von dem Streckenposten schräg gegenüber auf mich zu. Als ich das Visier aufklappte, stand er ganz dicht vor mir, sah mir in die Augen und fragte: „Und?“

Eine spätere Untersuchung ergab außer einer Prellung auf der linken Pobacke, ein paar Zerrungen und einer leichten Gehirnerschütterung keinerlei Verletzungen. Der Arzt meinte mit Blick auf meine Ausrüstung nur: „Seien Sie froh, dass sie so gute Schutzkleidung getragen haben, sonst wäre das anders ausgegangen.“ Und angesichts des Fünf-Mark-Stück großen Einschlags hinten am Helm konnte ich ihm nur Recht geben.

Kaltverformtes Heck

Ein zufällig genau an dieser Stelle im Zuschauerbereich hinter der Leitplanke stehender Fahrerkollege schilderte mir dann, was geschehen war. Ich war mit den ersten Maschinen auf den Kurs gerollt. Ein anderer Fahrer, der ziemlich am Ende der Gruppe fuhr, zog in der Rechtskurve ganz nach innen, um dann mit Vollgas nach vorne vorzustoßen. Zu spät nahm er wahr, dass ich ausrollte. Platz zum Ausweichen gab es nicht, also ging er voll in die Eisen. Sein Vorderrad brach aus, er stürzte und sein Motorrad rutschte auf der Verkleidung mit ordentlich Tempo wie beim Eisstockschießen von hinten in mich rein. Ich machte in der Luft eine Rolle rückwärts, erwischte mit dem Rücken die Leitplanke und schlug mit dem Hinterkopf zuerst auf der Fahrbahn auf. Beide Maschinen sind dabei wohl im hohen Bogen über uns hinweg geflogen. Der andere Fahrer hatte sich Knöchel und Schulter verletzt und musste im Krankenhaus behandelt werden, mehr konnte ich an diesem Wochenende leider nicht in Erfahrung bringen.

Die Honda war am Heck massiv beschädigt. Die sehr seltene Bimota-Schwinge war ordentlich verzogen, die filigranen Schweißnähte teilweise gerissen. Die Hinterachse war völlig verbogen, die Felge beschädigt, Speichen abgerissen oder verbogen. Der Sitzhöcker war (an meinem Hintern) zerbrochen, der linke untere Auspufftopf geknickt und verbeult. Angesichts dieser Schäden nutzte es wenig, dass mich der Notarzt, der mich für den folgenden Morgen zu einer Nachuntersuchung zu sich zitiert hatte, wieder für renntauglich erklärte, an einen Start war nicht zu denken. Aber das Entscheidende war: Mir ging es gut, nur die Heimfahrt mit dem geprellten Hinterteil war recht unangenehm.

Das Erstaunliche war, dass trotz der Flugeinlage und der massiven Heckschäden ansonsten wenig kaputt war. Der Tank hatte keinen Kratzer, und auch die Verkleidung samt Scheibe war außer ein paar Schleifspuren unbeschädigt. Ebenso die Lenkerarmaturen. Die Achse sowie alle Achsteile der Schwinge waren nicht zu retten, ich musste sie neu anfertigen.

Diese Achse konnte nur mit dem dicken Hammer ausgebaut werden

Die Schwinge wurde von einem Restaurierungskünstler gerichtet und nachgeschweißt. Die Nabe war unbeschädigt und bekam neue Radlager. Anschließend wurde eine neue Felge eingespeicht. Die Bremsankerplatte zeigte eine ovale Achsbohrung und einen Haarriss. Ersatz wurde wieder mit einer Belüftung versehen. Und weil ich schon dabei war, wurde der Heckrahmen auch gleich umgebaut, sodass er mit dem wieder reparierten Sitzhöcker eine saubere Linie ergab.

Der gebrochene Sitzhöcker frisch laminiert
Neues Rahmenheck: Loop eingeschweißt

Den Auspufftopf musste ich zum Ausbeulen aufschneiden und anschließend wieder verschweißen.

Aufgeschnitten und gerichtet, fertig zum wieder verschweißen.
Werkzeugbau: Anbringen der Achsbohrung in den neuen Exzenter-Rohlingen.
Gerichtete Schwinge mit neuen Exzentern und neuer Achse.

Das Richten der Schwinge nahm viel Zeit in Anspruch, so dass die Honda einige Zeit nicht einsatzbereit war. Es ergab sich aber die Chance zwei Jahre ersatzweise mit einem ganz besonderen Renner auf die Piste zu gehen. Mehr dazu im Beitrag „Ein Triple mit der Startnummer X30“.

Du lässt auch auf der Rennstrecke Deinen Verstand weiter laufen, das versaut Dir Deine Rundenzeiten“ hat mal ein Freund zu mir gesagt. Nun, wie man sieht bleibt trotzdem ein Restrisiko. Wobei ich finde, zwei Stürze (die nicht durch einen eigenen Fahrfehler geschahen)in 15 Jahren sind kein schlechter Schnitt. Ich fahre mit, weil es mir Spaß macht, ich fahre nicht um Weltmeisterschaftspunkte. Dafür bin ich – wie unsere klassischen Rennmaschinen - eh zu alt. Deshalb gefällt mir der eingangs zitierte Satz von Stirling Moss. Und ich weiß nicht, wer das ursprünglich gesagt hat, aber es passt ganz gut dazu: „Um zu gewinnen, muss man erst mal ankommen.